Sitzende Maria mit Kind im Strahlenkranz (Mainz, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum)

Sitzende Maria mit Kind im Strahlenkranz. Mainz, BDDM Nr. 3. Mittelrhein, um 1490/1500
Katalog
Von Uwe Gast
Abmessungen
Mittelrhein, um 1490/1500.
Monolith, Durchmesser 18,7 cm. – Inv. Nr. M 2695.
Um 1992 aus der Pfarrkirche in Heldenbergen (Main-Kinzig-Kreis) in das Museum überführt.
[Zur Frage des ursprünglichen Standorts] Die Pfarrkirche Mariä Verkündigung in Heldenbergen, aus der die Rundscheibe um 1992 zusammen mit Nr. 4 aus konservatorischen Gründen entfernt wurde9, wurde in den Jahren 1752–1754/55 anstelle eines vermutlich noch mittelalterlichen, im Dreißigjährigen Krieg lädierten Vorgängerbaues errichtet10. Ob die Scheibe von dort in den Neubau übertragen worden war, wofür es konkrete Anhaltspunkte bei Nr. 4 gibt (s.u.), oder ob sie – wie die drei barocken Altarretabel11 – von auswärts beschafft worden war oder erst später als Stiftung in die Kirche gelangt war, ist mangels diesbezüglicher Nachrichten nicht sicher zu entscheiden.
Erhaltung
Entgegen dem ersten Eindruck nur mäßig: Das große Stück mit dem Oberkörper Mariens vermutlich um 1900 von der Werkstatt Beiler, Heidelberg, falsch ergänzt (Fig. 120)12; das anschließende Stück mit dem Christuskind gesprungen; die Bemalung ist berieben und zeigt neben kleinen Fehlstellen Anzeichen von Korrosion.
Ikonografie, Komposition
Für eine dem Typus der Madonna dell’umilità verpflichtete Darstellung der im Grünen sitzenden Maria mit dem Christuskind auf dem Schoß13 gab es im 15. Jh. verschiedene druckgrafische Vorlagen. In unserem Fall erinnert die Komposition – zumindest in ihren Grundzügen – an Arbeiten wie die beiden ebenfalls als Rundbilder angelegten Stiche des Meisters von 1462 (L. 6) und des Meisters E.S. (L. 67). Die gemessen an diesen Blättern stilistisch modernere Mutter-Kind-Gruppe der Rundscheibe, die in mehreren Exemplaren hergestellt wurde (Fig. 119f.), lässt jedoch ein jüngeres Vorbild vermuten – aber nicht zwangsläufig in der vorliegenden Ausführung; auch an eine Darstellung der Hl. Anna Selbdritt (bzw. der Hl. Sippe) oder der Anbetung der Könige, aus der Mutter und Kind entlehnt und – mit Mühe – zu einer neuen Komposition umgestaltet wurden, ist zu denken. Für ein solches Vorgehen sprächen neben der aus derartigen Darstellungen bekannten Geste des Kindes vor allem die erheblichen Probleme des Glasmalers bei der Bewältigung des Bildraumes14.
Farbigkeit, Technik
Grisaillemalerei mit Silbergelb für Haare und Nimbus des Christusknaben, den Strahlenkranz der Mutter-Kind-Gruppe, die Blätter des Maiglöckchenstraußes und das lose Ende einer Gewandverzierung am Ärmel Mariens.
Stil, Datierung
Von der Scheibe ist ein weiteres, in Größe und Ausführung identisches Exemplar erhalten (Fig. 119)15. Da der ursprüngliche Standort beider Werke nicht gesichert ist, lässt sich deren Einordnung nur anhand von technisch-stilistischen Merkmalen vornehmen. Diese führen ganz untrüglich an den Mittelrhein, wobei die Bezüge zu anderen Werken vielfältig und nicht genau einzugrenzen sind. Hinsichtlich der maltechnischen Ausführung des Mariengewandes, dessen Falten in merkwürdigen Formationen erstarrt sind, ist z.B. auf den in der Binnenzeichnung ähnlich gestalteten Umhang des Hl. Christophorus in Hähnlein hinzuweisen, wo überdies das Gewässer mit ebenso schlichten Parallelschraffuren angelegt ist wie der Untergrund, auf dem Maria sitzt (vgl. Fig. 99, 120). Das Christuskind auf Marias Schoß weicht jedoch von dem Knaben in Hähnlein ab; pausbäckig, Nase, Mund und Kinn betont, erinnert es im Figurentyp ein wenig an den Engel eines mittelrheinischen Rundscheiben-Fragments mit der Krönung Mariä in Berlin16. Während das Fragment vielleicht für Mainz in Anspruch genommen werden kann, ist der Entstehungsort der Christophorus-Scheibe nicht zu benennen (s. hierzu S. 168); um 1485/90 und um 1500–1510 entstanden, bezeichnen die Scheiben jedoch die Pole, zwischen denen die sitzende Muttergottes zeitlich anzusiedeln ist.
Bibliografie
Adamy 1895, S. 132 (Lokalisierung in den Vorgängerbau der Heldenbergener Kirche und Datierung ins 16. Jh.; die Scheibe beschädigt); Eckhard Nordhofen, Die Steine reden – Geschichte der katholischen Kirche von Heldenbergen seit der Reformation, in: Chronik Heldenbergen (Nidderauer Hefte 5), Nidderau 1989, S. 119–163, hier S. 128 (Erwähnung).
Bildnachweis
CVMA G 8816
Nachweise
Fußnoten
- Dehio Hessen, II, 2008, S. 431. Eine gründliche historische Darstellung bei Winfried Röhling, Heldenbergen im Mittelalter, in: Chronik Heldenbergen 1989 (s. Bibl.), S. 33–71, hier S. 52–60; zuletzt Robert Bastian, 250 Jahre Katholische Kirche Mariä Verkündigung (Heldenbergen. Blick in die Zeiten 7), Heldenbergen 2005. ↑
- Die Retabel stammen nachweislich aus Gernsheim; Sigrid Duchhardt-Bösken, Zur Ausstattung der Pfarrkirche in Heldenbergen, in: Kunst und Kultur am Mittelrhein. FS für Fritz Arens zum 70. Geburtstag, hrsg. von Joachim Glatz und Norbert Suhr, Worms 1982, S. 132–137. ↑
- Die Zuschreibung der handwerklich vorzüglichen, mit dem Kreuznimbus für die Marienfigur ikonografisch aber unsinnigen Ergänzung an Beiler ist darauf zu stützen, dass aus der Heidelberger Werkstatt die beiden Fenster im Chor der Kirche zu Heldenbergen stammen; sie stellen die Verkündigung an Maria und die Geburt Christi dar und wurden im Jahr 1900 von Pfarrer Joseph Thoebes gestiftet. Ein weiteres Kirchenfenster mit der Darstellung der Heimsuchung (datiert 1914?), das von der Werkstatt Kraus in Mainz angefertigt wurde, befindet sich auf der Nordseite. Zu diesen drei Fenstern s. Bastian 2005 (wie Anm. 10), S. 32–34. ↑
- Marienlexikon, VI, 1994, S. 512–515 (Gregor M. Lechner). ↑
- So scheint die Vase mit den Maiglöckchen, einem marianischen Symbol, mehr über dem Gras zu schweben als in ihm zu stehen, und eigentlich ist sie nur dazu da, Haltung und Gestik des Kindes zu erklären. Gleichermaßen unmotiviert wirken die zahlreichen Stau- und Knitterfalten des Gewandes Mariens. ↑
- Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg, Inv. Nr. Gm 103. Ort und Zeitpunkt des Erwerbs sind unbekannt; freundliche Auskunft von Dr. Astrid Arnold, Coburg. ↑
- Das Fragment ist in eine Rundscheibe mit der Verkündigung an Maria eingeflickt, die aus Ulm (Rathaus?) über Erbach nach Berlin (SMB – Kunstgewerbemuseum, Inv. Nr. AE 561) gelangt ist. Zu der Straßburger Rundscheibe s. zuletzt AK Ulm 1995, S. 98f., Nr. 10 (Hartmut Scholz); zum Flickstück s. Becksmann 1968, S. 365, Anm. 41, und bes. Hess 1994, S. 64f., Abb. 61. ↑
Drucknachweis
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 191 f. [= 3. Sitzende Maria mit Kind im Strahlenkranz]
Nachnutzung
Rechtehinweise
Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Sitzende Maria mit Kind im Strahlenkranz (Mainz, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/132-2-02-01_sitzende-maria-mit-kind-im-strahlenkranz-mainz-bischoefliches-dom-und-dioezesanmuseum> (aufgerufen am 25.11.2025)
Kurzform der URL für Druckwerke
https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/132-2-02-01