Darbringung im Tempel (Gronau, Pfarrkirche)

 
Datierung
um 1460-1470
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Katalog

Von Uwe Gast

Abmessungen

H. 44,5 cm, B. 47,6–48,3 cm.

Inschriften

Im Nimbus Mariens in gotischer Minuskel: • S(ancta) • maria • dei • genitrix. Mit hebräisch anmutenden Inschriften sind der Gürtel des Gewandes des Hohepriesters und die das mosaische Gesetz symbolisierenden Tafeln auf dem Altar versehen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Mischung aus realen und erfundenen hebräischen Buchstaben, die inhaltlich keinen Sinn ergeben<fn>6#Scholz, Bergstraße, 1994, S. 56 (Nr. 75).</fn>.

Erhaltung

Die Scheibe ist anscheinend allseitig beschnitten. Nur so ist zu erklären, dass große Teile der Darstellung – der Fliesenboden unten und der architektonische Abschluss des Altarraums oben – verloren sind bei ansonsten gutem Erhaltungszustand. Im Zuge dieses Eingriffs dürften Fehlstellen mit ausgeschiedenen Stücken geflickt und die ganze Scheibe neu verbleit worden sein. Von diesen Maßnahmen wie von zwei störenden Sprüngen abgesehen, die durch den Körper des Christusknaben und die Altartafeln im Hintergrund verlaufen, befinden sich die noch vorhandenen Teile in vorzüglichem Zustand. Auf einigen kleinen, vor allem hellen Glasstücken sind innenseitig flächendeckende, z.T. abblätternde Rückstände aus Kitt und Leinöl zu beobachten. Außenseitig weisen nur die roten und violetten Gläser mehr oder minder ausgeprägte Korrosionserscheinungen auf. – Eine Schutzverglasung wurde 1995 von der Werkstatt Münch, Groß-Umstadt, angebracht7.

Ikonografie, Komposition

Da eine aus dem Kontext des Lebens Mariä bzw. der Kindheit Christi herausgelöste Darstellung der Darbringung im Tempel nach Lc 2,22–38 nur ausnahmsweise und dann nur in gut zu begründenden Fällen begegnet8, muss die auf ein Feld beschränkte Szene in Gronau Teil eines einst umfangreichen, im Einzelnen jedoch nicht mehr rekonstruierbaren Bildzyklus gewesen sein. Zu ihren Besonderheiten zählt zum einen, dass Maria vor dem Altar mit zum Gebet zusammengelegten Händen kniet, zum anderen, dass Simeon in Gestalt des Hohepriesters das Kind hält9. Darin gemahnt sie nicht nur an Stefan Lochners berühmte, 1447 datierte Tafel in Darmstadt, sondern auch – und mehr noch – an dessen Darbringung im Darmstädter Gebetbuch von 145110. Allerdings weicht die Darstellung in Gronau von den Darstellungen Lochners darin ab, dass die Figuren Mariens und des Hohepriesters auseinandergerückt sind und ihre Köpfe sich zudem auf annähernd gleicher Höhe befinden; sie dürfte folglich auf eine Vorlage zurückgehen, in der Lochners viel zitierte Komposition bereits modifiziert war.

Farbigkeit, Technik

Die Darstellung wird von einem auffallend starken Kontrast dunkler und heller, in ihrem Zusammenspiel aber harmonisch aufeinander abgestimmter Farben geprägt, deren dominierenden Grundton ein wässriges, mit Braunlot abgedunkeltes Violett für den Altar und das Mauerwerk bildet; er wurde ursprünglich begleitet von dem Hell- und Graugrün des schachbrettartig gemusterten Fliesenbodens und – in den Ausblicken aus dem Tempelraum – von dem tiefen Blau des Himmels. Über ihre delikate Farbigkeit hinaus zeichnet die Darstellung sich durch eine routinierte, alle maltechnischen Möglichkeiten nutzende Ausführung aus. Dabei überwiegen Negativtechniken wie Stupfen, Radieren und Wischen; Schwarzlot-Schraffuren zur Unterstützung der Schattenlagen wurden hingegen nur sparsam eingesetzt. – Außenseitig sind die Schattenpartien im Gewand Mariens mit einer bräunlichen, z.T. radierten Halbton-Bemalung hinterlegt; vereinzelt Silbergelb.

Stil, Datierung

Da die vermutete Herkunft der Scheibe aus Gronau sich nicht bestätigen lässt, sind deren Entstehungsort und -zeit nur mit den Mitteln der Stilkritik zu bestimmen. Zwei charakteristische Merkmale sind hierbei hervorzuheben: zum einen die feine, gestupfte, dadurch etwas spröde wirkende, in der Konturzeichnung zugleich auch holzschnittartige Machart, zum anderen der gutmütig-naive Ausdruck in den rundlichen, stets freundlichen Gesichtern. Letzterer findet sich in eng verwandter Zeichnung in einer Gruppe von Fenstern aus der ehem. Karmeliter-Klosterkirche in Boppard wieder, hier namentlich in den Darstellungen aus dem Leben Mariä und Christi im Jesse- und des Dekalogs im Zehn-Gebote-Fenster (Fig. 94)11. Gleichwohl ist jene Fenstergruppe aus Boppard, die um die Mitte der 1440er-Jahre in einer – vermutlich – mittelrheinischen Werkstatt geschaffen worden ist, nicht als alleinige stilistische Voraussetzung für die Gronauer Scheibe anzusehen; vor allem deren maltechnische Ausführung, die alle Möglichkeiten der Stupf-, Radier- und – verhaltener – Zeichentechnik nutzt, um den Figuren wie den Gegenständen eine gewisse Körperlichkeit zu verleihen, ist gegenüber den genannten Fenstern neuartig und weist darin auch über Werke wie die Scheibenreste aus dem um 1435/40 verglasten Westchor der Katharinenkirche in Oppenheim (s. S. 363–374, Fig. 292, Abb. 96, 110), die ihr in dieser Hinsicht näherstehen, weit hinaus. So repräsentiert die Scheibe den Rest einer ansonsten verlorenen Farbverglasung, die in einer am Mittelrhein ansässigen Werkstatt in der weiten Nachfolge der in Oppenheim und Boppard tätigen Glasmaler-Werkstätten entstanden ist. Ihre fortschrittlichere maltechnische Ausführung lässt eine Entstehung im dritten Viertel des 15. Jh. vermuten, was auch in Einklang mit den Beobachtungen zu ihrer Komposition steht.

Bildnachweis

CVMA GP 13018, Großdia GP 03/28

Nachweise

Fußnoten

  1. Freundliche Auskunft von Pfarrer Peter Voß, Bensheim-Gronau (21. Jan. 2009).
  2. Das prominenteste Beispiel ist zweifellos Stefan Lochners Darbringung im Tempel aus der ehem. Deutschordenskirche St. Katharina in Köln (Darmstadt, HLM, Inv. Nr. GK 24; Beeh 1990, S. 92–97, Nr. 17), in der sich eine – in einem an der Tafel befestigten Reliquiar aufbewahrte – Reliquie des Hl. Simeon befand; s. hierzu zuletzt Roland Krischel, Mediensynthesen in der spätmittelalterlichen Sakralkunst. Das Altarbild als Kulisse für liturgische Gegenstände und Handlungen, mit einem Beitrag von Tobias Nagel, in: Wallraf-Richartz-Jb. 69, 2008, S. 73–168, hier S. 111–116.
  3. Dorothy C. Shorr, The Iconographic Development of the Presentation in the Temple, in: The Art Bulletin 28, 1946, S. 17–32, hier S. 24, 29f.
  4. Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 70, fol. 56v; Stefan Lochner Gebetbuch 1451. Sämtliche Miniaturen der Handschrift 70 der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, hrsg. von Kurt H. Staub, Wiesbaden 1996, Abb. S. 91. – Zum Tafelbild s. Anm. 8.
  5. Die stilistische Herleitung dieser beiden, auf Standorte in Deutschland, Großbritannien und den USA verteilten Fenster (vgl. hierzu die Übersicht bei Becksmann 2006, S. 14f.) ist in der Literatur schon häufig behandelt, aber noch nicht eindeutig geklärt worden. Bisher gelten sie als Arbeiten einer meist an den Mittelrhein lokalisierten Werkstatt, wobei die Ansichten über deren künstlerische Wurzeln – ob Ober- oder Mittelrhein – deutlich differieren. Das komplizierte Beziehungsgeflecht haben erstmals Hayward 1969, bes. S. 107, und Wentzel 1969 dargelegt. Vgl. zusammenfassend: Lymant 1982, S. 105–108, Nr. 60, hier S. 108; Becksmann 1995, S. 175f., Nr. 61; Raguin/Zakin/Pastan 2001, S. 168–175, Nr. DIA 4, hier S. 174f.

Drucknachweis

Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen / Uwe Gast unter Mitwirkung von Ivo Rauch (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland Bd. III, 1), Berlin 2011, 161 f. [= o. A.. Darbringung im Tempel]

Nachnutzung

Rechtehinweise

Katalogdaten: Corpus Vitrearum Deutschland / Freiburg i. Br.
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Darbringung im Tempel (Gronau, Pfarrkirche)“, in: Mittelalterliche Glasmalereien in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/mittelalterliche-glasmalereien-in-hessen/alle-eintraege/108-1-01-01_darbringung-im-tempel-gronau-pfarrkirche> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/cvmahessen/108-1-01-01

Darbringung im Tempel: ES [= Erhaltungsschema] Lhs. s IIIDarstellung des Ersten Gebots aus dem Zehn-Gebote-Fenster. Ehem. Boppard, Karmeliter-Klosterkirche. Köln, Museum Schnütgen. Mittelrhein, um 1445.