Tod eines Inuit-Mädchens in Darmstadt

 

Ereignis

Was geschah

Im Sommer 1880 verließ der Norweger Johan Adrian Jacobsen (1853–1947) Hamburg, um im Auftrag von Carl Hagenbeck (1844–1913) eine Gruppe „Eskimos“ für eine Völkerschau anzuwerben. Es war üblich, dass die in Europa zur Schau gestellten Menschen von professionellen Werbern im Ausland engagiert wurden. Verträge legten die Rechte und Pflichte für beide Seiten fest, etwa die Entlohnung oder Krankenversorgung. Teilweise mussten die lokalen Behörden die Anwerbungen bewilligen. Mit dem Auslaufen der Verträge war eine Rückkehr in die Heimat vorgesehen, eine Ausbildung oder Missionierung war nicht geplant. Auch wenn viele der ausgestellten Menschen ohne Zwang nach Europa kamen, waren sie meistens nicht auf das vorbereitet, was sie erwartete. Oft war schon die Überfahrt ein traumatisches Erlebnis, in Europa kamen Kulturschock, Heimweh und Krankheiten hinzu. Nachdem die Behörden in Grönland eine Ausreise dort lebender Inuit ablehnten, reiste Jacobsen nach Kanada weiter. Trotz des Widerspruchs der deutschsprachigen Missionare der Herrnhuter Brüdergemeine, die die dortige Missionsstation leiteten, konnte er zwei Familien anwerben, eine christliche und eine, die der ursprünglichen Religion der Inuit angehörte. Die insgesamt acht Personen wurden in verschiedenen europäischen Städten zur Schau gestellt, darunter auch Frankfurt und Darmstadt. Da es Jacobsen versäumt hatte, die Inuit bei der Ankunft in Hamburg impfen zu lassen, erkrankten alle an den Pocken und starben innerhalb weniger Wochen Ende 1880/Anfang 1881. Als erstes verstarb die 15-jährige Noggasak am 14. Dezember 1880 in Darmstadt, wo sie auch beigesetzt wurde. Abraham Ulrikab (1845–1881), der Vater der christlichen Familie, führte während seines Aufenthaltes in Europa ein Tagebuch. Das heute verlorene Original wurde nach seinem Tod zusammen mit persönlichen Gegenständen nach Kanada zurückgeschickt, wo es von einem der Herrnhuter Missionare ins Deutsche übersetzt wurde. Es ist eines der wenigen bekannten Selbstzeugnisse von Teilnehmern einer Völkerschau. Aus Abrahams Aufzeichnungen und Briefen geht hervor, dass er hoffte, von dem Verdienst in Europa seine Schulden zahlen zu können. Zusammen mit den Habseligkeiten der verstorbenen Inuit schickte Carl Hagenbeck auch ihren Lohn nach Kanada, insgesamt 1120 Mark.
(StF)

Bezugsrahmen

Nachweise

Literatur

Weiterführende Informationen

Kalender

M
T
W
T
F
S
S
29
30
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
1
2
3
4
5
6
7
8
9

Nachnutzung

Rechtehinweise

Metadaten: Hessisches Institut für Landesgeschichte, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Tod eines Inuit-Mädchens in Darmstadt, 14. Dezember 1880“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/7273_tod-eines-inuit-maedchens-in-darmstadt> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/edbx/7273