DDR-Volkskammerpräsident Dieckmann in Marburg mit Steinen beworfen

Dr. Johannes Dieckmann, 1960
Ereignis
Was geschah
Der Präsident der Volkskammer der DDR, Dr. Johannes Dieckmann (1893–1969), wird bei einem Besuch in Marburg mit Steinen beworfen. Die Einladung zu seinem Besuch war vom Vorsitzenden des Marburger Liberalen Deutschen Studentenbundes (LSD), Klaus Horn, ausgegangen, der in der heißen Phase des Kalten Krieges gegenüber der DDR (zu dieser Zeit im Westen meist als „die Zone“ bezeichnet) eine Art Annäherungspolitik der kleinen Schritte propagiert. Als er den mehrheitlich mit Vertretern der politisch rechts stehenden Studenten besetzten AStA nicht gewinnen kann, arbeitet er mit den linken Marburger Hochschulgruppen einschließlich des SDS zusammen.
Zu seinen Aktivitäten gehört auch die Einladung an den damaligen Präsidenten der DDR-Volkskammer Johannes Dieckmann (LDPD) – gegen die politische Propaganda der Rechten. Als Dieckmann am 13. Januar 1961 nach Marburg kommt, organisieren die Gegner des Besuchs einen „Protestmarsch Dieckmann“, an dem sich etwa 3.000 (nach anderen Berichten 5.000) Demonstranten beteiligen. Sie stören den Vortrag Dieckmanns vor 200 Studenten und etwa 100 Journalisten im Kurhaus Marbach und attackieren die Veranstaltung mit Steinen und sonstigen Wurfgeschossen.
Die Springer-Presse und ein Teil der Öffentlichkeit feiern die Steinwurf-Aktion gegen Dieckmann als eine „nationale Heldentat“. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kommentiert: „Aus Marburg meinen viele, man hätte mit diesem Sendboten Ulbrichts vornehmer umgehen sollen, als ihm Steine in den Vortragssaal zu werfen. Daran ist ohne weiteres richtig, daß Steine keine Argumente sind. Aber es hat wohl auch nicht viel geschadet, daß dem Staatsfunktionär aus Ost-Berlin ein paar Stunden lang zu Bewußtsein kam, wie unerträglich seine Anwesenheit vielen Marburgern war. Auch wer den Vorgang nicht für ein Beispiel von gutem demokratischem Stil hält, kann ihn nach Lage der Dinge verzeihlich finden“.
(OV/LV)
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Nachweise
Literatur
- Reinhard Hübsch, „Die Schande von Marburg“. Deutschlandpolitische Gehversuche Marburger Liberaler in den 60er Jahren und ihre Folgen, in: Jan Marco Müller (Hrsg.), „Freiheit, Tüchtigkeit, Persönlichkeit“. Beiträge zur Geschichte des Marburger Liberalismus, Marburg 2000, S. 184-224
- Guenther Faure, Anfänge der demokratischen Studentenbewegung in Marburg, 1977, S. 296 f.
- Wilhelm Kessler, Geschichte der Universitätsstadt Marburg, 2. Aufl., Marburg 1984, S. 152
- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.1.1961, S. 2: Unnötige Gewissensbisse
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„DDR-Volkskammerpräsident Dieckmann in Marburg mit Steinen beworfen, 13. Januar 1961“, in: Hessen im 19. und 20. Jahrhundert <https://lagis.hessen.de/de/quellen-und-materialien/hessen-im-19-und-20-jahrhundert/alle-eintraege/2821_ddr-volkskammerpraesident-dieckmann-in-marburg-mit-steinen-beworfen> (aufgerufen am 27.11.2025)
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