Spachbrücken

Spachbrücken im modernen Orthofoto
Basisdaten
Juden belegt seit
1604
Lage
64354 Reinheim, OT Spachbrücken, Hofstraße 19
erhalten
nein
Jahr des Verlusts
ca. 1912
Art des Verlusts
Abbruch
Gedenktafel vorhanden
nein
Synagogen-Gedenkbuch Hessen
Geschichte
Anm.: Diesem Beitrag liegen Passagen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Spachbrücken im Artikel Reinheim des „Synagogengedenkbuchs Hessen“ zugrunde.1
Im reichsritterschaftlichen Dorf Spachbrücken der Grafen von Löwenstein-Wertheim ist die Niederlassung von Juden erstmals 1604 nachweisbar, als die Händler Samuel (auch Salomon) und Liebmann von dort in Geleitscheinen der Kellerei Umstadt genannt werden.2 Danach werden erst 1670 beziehungsweise 1673 mit Benedict und Jacob wieder jüdische Dorfbewohner aktenkundig.3 In den ersten vier Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts lebten in Spachbrücken mindestens vier jüdische Familien, die vom Viehhandel, Geldverleih und Immobilienverkauf lebten.4 Ihre gewachsene Zahl erlaubte schließlich den Aufbau jüdischer Gemeindestrukturen. Bis Ende der 1820er Jahre stieg sie auf 55 Jüdinnen und Juden an.5
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrumpfte die Zahl der im Dorf lebenden jüdischen Einwohner vor allem auch wegen der Auswanderung in die Vereinigten Staaten erheblich. Ende des 19. Jahrhunderts lebten nur noch vier bis fünf Familien mit insgesamt etwas über 20 Personen im Ort. Die Leitung der jüdischen Gemeinde lag zu dieser Zeit in den Händen von J. Lehmann, B. Neumann, J. Weisbecker. Die Jüdinnen und Juden von Georgenhausen, das der Spachbrücker jüdischen Gemeinde als Filiale inzwischen zugeordnet war, hatten ebenfalls noch eigene Vorsteher. Sie unterstanden dem liberalen Rabbinat in Darmstadt.6
In den 1920er Jahren war die Spachbrücker jüdische Gemeinde nur noch eine Filiale von Reinheim. Sie verfügten aber mit J. Weißbecker immer noch über einen eigenen Vorsteher.7
Statistik
- 1702 mind. 4 Familien
- 1740 4 Familien
- 1804 5 Familien
- 1829 55 Personen
- 1867 35 Personen
- 1884 22 Personen
- 1896 23 Personen
- 1900 15 Personen
- 1903 4 Familien mit 20 Personen
- 1925 6 Personen
- 1930 2 Familien mit 5 Personen
- 1934 1 Familie
Quellenangabe Statistik
Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim, S. 400.
Betsaal / Synagoge
Betsaal im 18. Jahrhundert, „Schulzen-Haus“
Bereits 1767 wurde in einem der jüdischen Wohnhäuser („Schulzen-Haus“) für 200 fl. ein Betraum eingerichtet. Die Leitung des Gottesdiensts könnte in den Händen des 1760 in Spachbrücken genannten Rebbe (Rabbi) Mosche gelegen haben8 Zumindest beanspruchten dessen Nachkommen, Jakob (Jockef) Simon und dessen Sohn Itzig (Isaak) 1799 als Hausbesitzer Sonderrechte in der „Judenschul“. Ihre Eigenmächtigkeiten führten sogar zu Handgreiflichkeiten in der Synagoge.9 Noch im gleichen Jahr erließ deshalb der zuständige Wertheimer Landrabbiner Samuel Hirsch Adler eine „Judenschulordnung“, die einen geordneten Ablauf der Gottesdienste garantieren sollte. Unter anderem sollte die angestammte Reihenfolge der Synagogenstände wiederhergestellt werden, wobei sich die „besten Plätze“ nahe am Aron ha-Kodesh (Toraschrein) befanden. Zudem wurde die Zahl der Stände für die Schutzjuden von zehn auf 15 erhöht. Sie standen entlang der Wände des kleinen, vermutlich quadratischen Raums.10
Die Synagoge von 1834, Hofstraße 19
Das weitere Anwachsen der jüdischen Gemeinde hatte zur Folge, dass die Spachbrücker Juden 1834 ein zum ehemaligen freiadeligen Kayserfeld’schen Rittersitz gehörendes Tagerlöhnerhäuschen, heute der Platz rechts von der Hofstraße 19, zur Synagoge umbauen ließen.11 Das Gebäude ist in der Parzellenkarte von 1836/1838 verzeichnet. Der Bau war mit der südlichen Schmalseite zur Hochzeitsgasse (heute: Hofstraße) ausgerichtet, 6,87 m breit und 10,80 m lang.12
Bedingt durch den Rückgang der Zahl der Gemeindemitglieder orientieren sich die Spachbrücker Jüdinnen und Juden wohl schon in den 1890er Jahren zur jüdischen Gemeinde in Reinheim hin. Die einsturzgefährdete Synagoge war am 26. April 1912 verkauft und wenig später abgerissen worden.13
Auch die jüdischen Spachbrücker sahen sich in der Zeit des Nationalsozialismus antisemitischer Verfolgung ausgesetzt. Zu den während der Shoah Ermordeten gehörten Simon und Rosa Schack, die im Ghetto Theresienstadt umkamen. Für sie wurden 2019 zwei Stolpersteine in Spachbrücken verlegt, das seit Ende 1971 nach Reinheim eingemeindet ist.14
Weitere Einrichtungen
Mikwe
1846 richtete die jüdische Gemeinde östlich des Ortskerns von Spachbrücken in der Gemarkung „In den Daubesgärten“ am Dilsbach eine beheizbare Mikwe ein, die mit Wasser aus einem Brunnen versorgt wurde.15
Schule
Mitte der 1870er Jahre gab es in Spachbrücken nur noch zwei jüdische Schulkinder. Ende der 1890er Jahre war Hirsch Sulzbacher bei der jüdischen Gemeinde als Religionslehrer angestellt, der auch die Kinder in Georgenhausen unterrichtete.16
Friedhof
Die verstorbenen Jüdinnen und Juden aus Spachbrücken wurden auf dem jüdischen Friedhof in Dieburg beigesetzt. Das älteste datierbare und identifizierbare Grab ist das von Breinle, der Ehefrau des Moses, die 1781 starb.
Nachweise
Fußnoten
- Blum/Berger-Dittscheid, 2025, Reinheim. ↑
- Löwenstein, 1895, Geschichte, S. 69. ↑
- StadtA Reinheim, Gerichtsbuch Spachbrücken, 1670/1671. ↑
- HStAD, C 4, Nr. 112/1; StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 655; 656; Volz, 1988, Reinheimer Juden, S. 30-31, 60-61. ↑
- Wagner, 1829, Statistisch-topographisch-historische Beschreibung, Bd. 1, S. 223. ↑
- Statistisches Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes, Jg. 11, 1896, S. 88; Jg. 12, 1897, S. 95; Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege, 21. Jg., 1913, S. 188. ↑
- Handbuch der jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege, 1924/25, S. 133. ↑
- StadtA Reinheim, G XIII/3, Nr. 1/1. ↑
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 680. ↑
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 712. ↑
- Volz, 1988, Reinheimer Juden, S, 37; Spalt, 1968, Spachbrücker Heimatbuch, S. 125, 127; Spalt, 1971, Spachbrücker Sippenbuch, S. 55. ↑
- HStAD, P 4, Nr. 2366. ↑
- Spalt, 1971, Spachbrücker Sippenbuch, S. 56. ↑
- Poth, 2021, Stolpersteine. ↑
Quellen digital
Quellen
- Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD):
- HStAD, C 4, Nr. 112/1.
- HStAD, G 15 Dieburg, Nr. L 7.
- HStAD, P 4, Nr. 2366.
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Wertheim (StA Wertheim):
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 655.
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 656.
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 680.
- StA Wertheim, R-Rep. H 9 I, Nr. 712.
- Stadtarchiv Reinheim (StadtA Reinheim):
- StadtA Reinheim, Gerichtsbuch Spachbrücken, 1670/1671.
- StadtA Reinheim, G XIII/3, Nr. 1/1.
Literatur
- Blum, Rahel/Berger-Dittscheid, Cornelia, Reinheim. Mit Georgenhausen, Spachbrücken und Zeilhard, in: Wiese, Christian, et al. (Hg.), Zerbrechliche Nachbarschaft. Gedenkbuch der Synagogen und jüdischen Gemeinden in Hessen, Bd. 1/1, Berlin/Boston 2025, S. 378-404.
- Engelbert, Hermann, Statistik des Judenthums im Deutschen Reiche ausschließlich Preußens und in der Schweiz, Frankfurt am Main 1875.
- Löwenstein, Leopold, Geschichte der Juden in der Kurpfalz, Frankfurt am Main 1895.
- Poth, Jürgen, Stolpersteine in Spachbrücken, in: Museum Reinheim/Geschichtsverein Reinheim-Ueberau e.V./Geschichtsverein Georgenhausen-Zeilhard, Orte jüdischen Lebens in Reinheim und den Ortsteilen, Reinheim 2021, S. 84–85.
- Spalt, Georg, Spachbrücker Heimatbuch. Geschichte eines Dorfes und seiner Gemarkung, Spachbrücken 1968.
- Spalt, Georg, Spachbrücker Sippenbuch. Ein Beitrag zur Familien- und Sippenforschung, Spachbrücken 1971.
- Volz, Fritz, Die Reinheimer Juden. Die jüdischen Gemeinden von Reinheim und seinen heutigen Stadtteilen, Reinheim 1988.
- Wagner, Georg Wilhelm Justin, Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogthums Hessen, Bd. 1, Darmstadt 1829.
Indizes
Siehe auch
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Orte
Personen
Quellen und Materialien
Nachnutzung
Rechtehinweise
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat
Zitierweise
Empfohlene Zitierweise
„Spachbrücken“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/826_spachbruecken> (aufgerufen am 26.11.2025)
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