Rodheim-Bieber

Bearbeitet von Manfred Schmidt  
Landkreis
Gießen
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.

Basisdaten

Juden belegt seit

1688

Lage

35444 Biebertal, Ortsteil Rodheim-Bieber, Friedhofsweg 2

erhalten

ja

Gedenktafel vorhanden

nein

Geschichte

Bei der um die Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgten Teilung der alten Grafschaft Gleiberg in einen westlichen (mit Gleiberg als Mittelpunkt) und einen östlichen Teil (mit Gießen als Mittelpunkt) blieb ein Rest, zu dem Rodheim gehörte, bis 1585 im gemeinsamen Besitz. Danach gehörte Rodheim zu Hessen, im 19. Jahrhundert ab 1806 zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. 1866 gelangte Rodheim an das Königreich Preußen.

Erstmals lässt sich 1688 ein Einwohner jüdischen Glaubens in Rodheim nachweisen.1 Danach gab es meist nur zwei oder drei jüdische Familien in Rodheim. Nach einer Jahresrechnung der Vetzberger jüdischen Gemeinde von 1831 lassen sich zwölf Namen der abgabepflichtigen Gemeindeglieder dem Ort Rodheim zuordnen.2 Die Rodheimer Juden waren demnach mindestens seit dieser Zeit, wahrscheinlich jedoch bereits viel länger, zur „ausländischen“, weil im damals preußischen Kreis Wetzlar gelegenen Vetzberger Gemeinde gehörig. Die wirtschaftliche Grundlage der jüdischen Familien war ihr Handel und die Schlachterei.

1838 versuchte der Großherzoglich Hessische Kreisrat in Gießen, die in den beiden hessischen Dörfern Rodheim und Heuchelheim lebenden Juden zu einer Gemeinde zusammenzuführen. Die vier jüdischen Familienväter in Heuchelheim baten, wie bisher, bei der Gemeinde Gießen bleiben zu können, wohin auch ihre Kinder zur Schule gingen. Auch die drei Rodheimer jüdischen Familienväter wollten weiterhin zur Vetzberger Gemeinde gehören und wünschten keinen Zusammenschluss mit Heuchelheim.3 Mendel Rosenbaum erhielt nach seinem Antrag von 1846 die Erlaubnis, den aus Altenlotheim im Bezirk Vöhl stammenden jüdischen Lehrer David Hecht anstellen zu dürfen, der neben seinem Sohn auch zwei Vetzberger Kinder „in den jüdischen Gebeten“ unterrichten durfte.4

An einem Gerichtstag des Amtsgerichts Gladenbach am 26. September 1903 in Rodheim erklärte Isaak Rosenbaum II: „Eine israelitische Gemeinde besteht hier gar nicht.“ Und er teilte mit, dass vor etwa sieben Jahren in Rodheim der Verein „Bund des Lebens“ gegründet wurde, dem neben ihm als Vorsitzenden noch Hirsch Rosenbaum, Emanuel Rosenbaum III, Hermann Rosenbaum, Siegmund Rosenbaum und Sally Rosenbaum angehörten. Weil der Verein bis dahin noch nicht in das Vereinsregister eingetragen war, sollte die Eintragung noch nachgeholt werden. Ziel des Vereins war es offensichtlich, eine eigene Synagoge in Rodheim zu erbauen.5

Eine Rodheimer jüdische Gemeinde wurde folglich erst nach 1903 gegründet, aber vor 1927 schon wieder aufgelöst, weil bis dahin die meisten Familien weggezogen waren, zumeist in die Stadt Gießen.6 Hermann Rosenbaum starb 1932 in Rodheim als letztes Mitglied der ehemaligen Rodheimer Gemeinde; seine drei Kinder waren bereits in die USA ausgewandert.

Im Zentralarchiv in Jerusalem werden zu Rodheim die hessischen Personenstandsregister über die Geburten 1838-1874 verwahrt.7 Im Rodheimer Kirchenbuch sind zwei sogenannte Judentaufen registriert. Am 20. Juni 1723 erhielt der aus Atzbach stammende und nun in Rodheim lebende Samuel Eleasar bei seiner Taufe den Namen Johann Jeremias Christmann. Wegen der Taufe verließ ihn seine Frau mit den gemeinsamen Kindern. Der noch ledige Jude Falck wurde am 31. August 1749 getauft und erhielt den Namen Ludwig Jacob Gottlieb. Beide Täuflinge haben bis heute zahlreiche Nachkommen, u. a. in Rodheim und in Krofdorf.8

Betsaal / Synagoge

Der um 1896 in Rodheim gegründete Verein „Bund des Lebens“ erbaute eine Synagoge an der Ecke Vetzberger Straße/Friedhofsweg. Das Baugrundstück Flur 8, Nr. 363 gehörte seinerzeit Mendel Rosenbaum I, der es an seinen Sohn Hirsch Rosenbaum vererbte. Nach der Vermessung und Teilung am 1. Juli 1903 ging ein kleiner Teil (Flur 8, Nr. 363/3, 125 Quadratmeter) in den Besitz des Vereins „Bund des Lebens zu Rodheim“. Die Planskizze zeigt den Grundriss der Synagoge mit einem kleinen Vorbau an der nordöstlichen Giebelseite für den Thoraschrein und einem kleinen quadratischen Anbau an der Nord-Ostecke des Gebäudes.9 Der Saalbau war außen 5,76 Meter lang und 9,35 Meter breit; bei einer Mauerstärke von 0,38 Metern standen innen nur 43 Quadratmeter zur Verfügung.10

Ein Foto des nach dem ersten Umbau noch nicht verputzten Gebäudes lässt von der Synagoge an der Längsseite drei ehemals vorhandene Rundbogenfenster und an der südwestlichen Giebelseite rechts ein gleiches Rundbogenfenster und links ein Rundbogenportal erkennen. Franz Ewert, Lahnau, rekonstruierte 1988 nach diesem Foto und Angaben von Zeitzeugen den möglichen ursprünglichen Zustand. Nach Thea Altaras enthielt die Synagoge eine einseitige Empore, deren Treppenaufgang unmittelbar neben dem Eingang im Synagogenvorraum lag.11

Von dem 1905 im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen „Verein Bund des Lebens in Rodheim a. d. B.“ wurde die Synagoge am 21. Juli 1927 an die Eheleute Weißbinder Heinrich Bender V und Frau Margarethe geb. Becker aufgelassen und am 27. Januar 1928 in das Grundbuch als deren Eigentum eingetragen.12 Bald danach erfolgte der Umbau zu einem Wohnhaus. Das bestehende Gebäude wurde unterkellert und an der Nordseite auf der - den Eheleuten Bender gehörenden - Nachbarparzelle ein Anbau errichtet. Das Gebäude wurde danach mehrfach umgebaut und erweitert (1952 und 1964), wobei es das heutige Aussehen mit dem Walmdach erhielt.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Vor dem Bau der Synagoge ist schon eine Mikwe in Rodheim bezeugt. 1844 wurde Josua Simon genehmigt, eine Mikwe in seinem Haus (heute Fellingshäuser Straße 12) anzulegen. Gleichzeitig mussten die bisher in seinem Keller und im Keller des Mendel Rosenbaum befindlich gewesenen, sogenannten „Wasserlöcher“ verfüllt werden.13

Friedhof

Obwohl zur Vetzberger jüdischen Gemeinde gehörig, wurden die Rodheimer nicht dort, sondern auf dem weiter entfernten Waldgirmeser jüdischen Friedhof (Ecke Berliner Straße/Lauterstraße) beerdigt. In den Rechnungen des hessischen Amtes Königsberg für den Zeitraum 1702 bis 1820 sind unter der Rubrik „Einnahm Geld vom Juden Begräbnis“ von insgesamt 89 Beerdigungen in Waldgirmes 33 aus Rodheim nachgewiesen.14 Von den heute noch erhaltenen 37 Grabsteinen des Friedhofs lassen sich 14 Juden aus Rodheim zuordnen.

In Waldgirmes wurden ab 1702 neben den Juden aus Rodheim auch Juden aus Waldgirmes, Niederweidbach, Naunheim, Heuchelheim, Frankenbach, Hermannstein, Erda und Königsberg bestattet.15 Bei einer 1863 notwendig gewordenen Erweiterung dieses Friedhofs entfielen auf der Grundlage des Steuerkapitals der beteiligten Familien ca. 54 Prozent der Gesamtkosten auf die Rodheimer Juden.16

Nachweise

Fußnoten

  1. HHStAW 150, 4486
  2. HHStAW 424, 1050
  3. Schmidt, M., Jüdische Gemeinde Vetzberg, 2009, S. 147
  4. Schmidt, A./Schmidt, M., Geschichte der Juden in Rodheim, 2008, S. 154 ff.
  5. Grundakte Nr. 652 für Rodheim, Grundbuchamt Gießen
  6. Schmidt, A./Schmidt, M., Geschichte der Juden in Rodheim, 2008, S. 154 ff.
  7. CAHJP, G 3/184
  8. Schmidt, A./Schmidt, M.: Geschichte der Juden in Rodheim, 2008, S. 158
  9. Grundbuchamt Gießen, Grundakte Nr. 652 für Rodheim
  10. Umbaupläne im Besitz von Dr. Heidi Keller, Rodheim
  11. Altaras, Synagogen, Kat. 73, S. 209 f.
  12. Grundbuch von Rodheim, Band 17, Blattnr. 652 und Band 32, Blattnr. 1271
  13. Schmidt, A./Schmidt, M.: Geschichte der Juden in Rodheim, 2008, S. 158
  14. Schmidt, A./Schmidt, M.: Geschichte der Juden in Rodheim, 2008, S. 158
  15. HStAM, Rechnungen II, Königsberg 2
  16. HStAM 111 k Gießen, 548

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Rodheim-Bieber“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/391_rodheim-bieber> (aufgerufen am 26.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/syn/391

Rodheim-Bieber: Das ehemalige Synagogengebäude (1985)Rodheim-Bieber: Das ehemalige Synagogengebäude (1988)Der Standort der Synagoge von Rodheim-Bieber im modernen Orthofoto (Bildmitte)