Meerholz

Bearbeitet von Hans Kreutzer (+)  
Topografische Karten
KDR 100, TK25 1900 ff.

Basisdaten

Juden belegt seit

1616

Lage

63571 Gelnhausen, Ortsteil Meerholz, Erbsegasse 2

Rabbinat

Hanau

erhalten

nein

Jahr des Verlusts

1963

Art des Verlusts

Abbruch

Gedenktafel vorhanden

ja

Geschichte

Zu der Meerholzer Synagogengemeinde gehörten neben Meerholz die Orte Hailer, Niedermittlau, Neuenhaßlau, Somborn, Niedergründau, Rothenbergen, Lieblos und Roth. Dies hängt zum größten Teil mit den ehemaligen Isenburger Gerichten Meerholz und Gründau zusammen. Meerholz hatte einen hohen Anteil von Juden, was sich durch die Gräflich-Isenburgische Standesherrschaft erklärt.

Die ersten Juden sind in Meerholz 1616 erwähnt. Im direkt an Meerholz grenzenden Ort Hailer wird schon 1573 ein Jude aufgeführt, jedoch ohne Namensnennung.1 In einer Auflistung der Juden in den Isenburgischen Stammlanden Büdingen, Wächtersbach und Meerholz werden 1668 in Meerholz Wolf und in Hailer Jakob genannt, die 12 Gulden Schutzgeld zahlten; 1674 wird nur noch Jorl von Hailer gezählt. Am 12. Mai 1686 bat Samuel aus Frankfurt die Gräfin Maria Charlotte, ihn im Meerholzer Gericht aufzunehmen, was ihm für ein Schutzgeld von 15 Gulden gewährt wurde.

In der ältesten Meerholzer Gemeinderechnung von 1752 finden wir unter den Beisassen neun Juden, darunter den Seifensieder Löw.2 Im Meerholzer Katasterbuch von 1756 sind dann bereits 12 Juden als Hausbesitzer im ganzen Ort verteilt zu finden. Ein Grundstück, das als Judenschule bezeichnet wird, blieb bis zum Verkauf an einen Landwirt im Jahr 1935 im Besitz der jüdischen Gemeinde.3 Im Jahre 1711 wird von dem Meerholzer Grafen Georg Albrecht zu Ysenburg eine neue Straße, genannt Neugasse, geplant, in der sich auch weitere Juden ansiedelten.4 Die Ausschreibung des Grafen betont ausdrücklich, dass die Religion der neuen Ansiedler keine Rolle spiele. Die neuen Einwohner erhielten kostenlos einen Bauplatz sowie Bauholz und waren zehn Jahre lang von der Pflicht, Steuern zu bezahlen, befreit.

Ein Schutzbrief von 1777 für den Juden Itzig, Sohn des Seifensieders Löw, ist erhalten.5 Der Inhaber zahlte jährlich bis 1807 zwölf Gulden Frankfurter Währung. Das Wohnhaus der Seifensieder Familie Stern in der Unterdorfstraße ist bis heute erhalten. Diese Familie kann am besten von allen anderen bis heute nachgewiesen werden. Sie stellte regelmäßig den Synagogenvorsteher und spendete um 1800 das Synagogensilber.6

Bei der Ysenburger Erbteilung am 23. Juli 1687 erhielt Graf Georg Albrecht die Gerichte Meerholz und Gründau. Seinem Sohn Carl Friedrich fiel 1725 noch das Gericht Eckartshausen zu.7

Im folgenden Jahrhundert nahm die Zahl der Juden stark zu, so finden sich in den Isenburg-Meerholzer Dörfern 1790 bereits 298 Juden, davon allein in Meerholz von 534 Einwohnern 93 und 62 von 273 Einwohnern in Gettenbach.8

1776 ordnete Graf Johann Friedrich Wilhelm an, dass aus jeder jüdischen Familie nur ein Sohn im Lande heiraten dürfe, oder entsprechend nur eine Tochter einen auswärtigen Juden.

Graf Carl Ludwig Wilhelm erneuerte 1803 diese Verordnung. Bei dem jährlich stattfindenden Rügegericht musste der jüdische Gemeindevorsteher eine Liste der Judenfamilien einreichen und darin vermerken welches Familienmitglied „entbehrlich“ sei. Dieses musste binnen eines Vierteljahres außer Landes gehen.

Dass die Juden in der Region kein einfaches Leben hatten, bezeugen umfangreiche Akten über Zollzahlungen an den Grenzen der Isenburger Herrschaften. Wer um 1670 von dem Hanauischen Altenhaßlau nach Hanau wollte und nur die Schandelbach, am Ortsrand überquerte, war im Isenburg-Meerholzer Territorium, wo er nach drei Kilometern Wegs am Schloss abgefangen wurde und Accis (Zoll) zahlen musste. Die Hanauer Standesherrschaft bestand zwar darauf, dass keine Zahlungen ihrer Juden nötig seien, jedoch kümmerte dies niemanden. Neben dem Zwang zur Zahlung wurden die Juden oft drangsaliert, eingesperrt und oft auch ihrer Habe beraubt.9 Bis ins 19. Jahrhundert sind in der Gegend immer wieder Raubüberfälle auf jüdische Händler, bezeugt.10

Die Meerholzer Grafen verloren nach den Napoleonischen Kriegen 1815 ihre Souveränität und wurden Österreich zugeordnet. 1816 kamen sie zu Hessen-Kassel. Noch bevor von dort die Gleichstellung der Juden mit den Christen 1833 Gesetz wurde und die Juden neue Namen annahmen, hatten diese schon ab dem Jahre 1822 ihre neuen Namen, wie aus den Beisassen Verzeichnissen hervorgeht.

Die Meerholzer Juden waren vorwiegend in den Berufen Metzger, Bäcker, Krämer, Brandweinhändlerin, Viehhändler, Lumpensammler, Spezereihändler, Näherin, Mehlhändler, Fruchthändler, Holzhändler, Seifenmacher, Vorsinger und Lehrer tätig.

Nach Aussagen des Zeitzeugen Walter Stern, Glens Falls NY, USA, gab es in Meerholz bis 1932 keine Probleme zwischen Christen und Juden. Erst mit dem starken Aufkommen der NSDAP änderte sich dies schlagartig. 1934 wurden in der Synagoge und in einem Privathaus Scheiben eingeworfen. Nachdem 1934 die SA mit einem Auto vor das Anwesen Stern fuhr und abscheuliche Lieder sang, entschloss sich seine Schwester Irma nach Holland zu gehen. Als sie 1936 ihren Eltern einen Besuch abstattete, wurde sie in Schutzhaft genommen und nach Fulda gebracht, wo sie nach kurzer Zeit entlassen wurde und in die USA auswanderte. Bis zum Jahr 1938 wanderte nach und nach die gesamte Familie aus.11 Zwei Familien Flörsheim wanderten ebenfalls nach USA aus, die meisten Meerholzer Juden zogen nach Frankfurt und vielen anderen Orten. Von dort aus führte sie jedoch meist der Weg in die Konzentrationslager, wo sie ermordet wurden. Es gibt nachweislich 20 Opfer zu beklagen, die in Meerholz ihren Geburtsort hatten. Sara Strauß versuchte von Frankreich aus nach Spanien zu gelangen; sie verunglückte in Gurs in den Pyrenäen am 30.12.1940 tödlich.

Den Meerholzer Juden zum Gedenken wurde an der Stelle der ehemaligen Synagoge 2002 eine Gedenktafel gewidmet, deren Enthüllung Walter Stern vornahm.

Betsaal / Synagoge

Ab wann es in Meerholz eine Synagoge gab ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass 1756 eine Judenschule in der Erbsegasse bestand. 1779 wird erstmals Michel der Vorsänger erwähnt. Aber schon 1756 deuten die Einträge Michel, 1757 Michael und 1773 Michael Fürth in den Beisassenverzeichnissen darauf hin, dass es ein jüdisches Gemeindeleben gab.

Durch einen Streit in der Judengemeinde im Jahr 1864 wegen der Sitze in der Synagoge erfahren wir von einem neuen Synagogenbau, der daher um 1863/64 entstanden sein muss.12

Die Synagoge und die Israelitische Schule standen in der Erbsegasse 2. Zu diesem Anwesen gehörten neben der Synagoge eine Holzremise, darin ein Ställchen mit Eingang zur Synagoge, ein Gemüsegarten und ein Pflanzgarten.13

In der Reichspogromnacht wurde das Synagogengebäude nicht angezündet, da es bereits am 5. Januar 1938 von dem letzten Vorsteher Leo Stern an den Landwirt Gustav Honzen verkauft worden war. Stattdessen wurde durch die SA von Meerholz und Umgebung der Leichenwagen der jüdischen Gemeinde, mit dem die Toten zum Friedhof nach Niedermittlau gebracht wurden, in einem Privatgarten gegenüber der Synagoge in Brand gesetzt.

In den Folgejahren wurde das ehemalige Synagogengebäude als Maschinenlager benutzt und 1963 „wegen Baufälligkeit“ abgerissen. Nur das an dem Israelitischen Schulhaus angebaute Judenbad ist bis heute erhalten.

Über den Bau der Synagoge liegen keine Details mehr vor: Einzig eine Postkarte aus den 1920iger Jahren „Baustein zugunsten der bedürftigen Synagoge zu Meerholz“ zeigt das Gebäude von der Westseite, mit dem Eingang und der Treppe zur Empore.

Als der letzte Vorsteher Leo Stern sich vom Vorsteheramt verabschiedete, verweigerte er die Herausgabe des Synagogensilbers mit dem Hinweis: „Mein Großvater erklärte mir einst, wenn der letzte Stern Meerholz verlässt, muss er das Silber mitnehmen.“ Mit viel Glück gelang es, Thoraschild und Rimmonim in die USA zu bringen, wo es im Hause des Walter Stern bis 2005 verblieb, ehe es den Weg ins „The Judaica Museum“, Riverdale, New York fand.14 Dort konnte anhand der Punzmarke der Hersteller der Objekte ermittelt werden. Es handelt sich um den Fürther Silberschied Johann Jakob Runnecke aus Berlin.15

2006 erhielt der Geschichtsverein Meerholz-Hailer von Frau Dr. Christa Hein aus Bad Nauheim eine aus Meerholz gerettete Purimrolle, die der Geschichtsverein dem Judaica Museum Riverdale vermachte.

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Über den Bau eines warmen Frauenbades 1831 bis 1833 und das Aussehen des Gebäudes und seiner Inneneinrichtung mit dem Kupferkessel liegen genaue Daten vor. Die Kosten für den Bau betrugen 171 Gulden, für die Inneneinrichtung wurden 175 Gulden ausgegeben.16

Schule

Im Jahr 1873 wurde neben der Synagoge das alte Gemeindehaus durch einen Schulbau ersetzt. Lehrer Birk betreute zunächst 33 Kinder. Bis zum Jahre 1921 ging die Zahl der Schulkinder auf 13 zurück, 1926 wurde die Schule geschlossen und die Kinder besuchten die Volksschule in Meerholz. Letzter Lehrer war Baruch Kleeblatt aus Angenrod bei Alsfeld. Das Schulhaus wurde 1938 zusammen mit der Synagoge verkauft, als Wohnhaus genutzt und 1966 für weitere Wohnungen aufgestockt.

Friedhof

Der Friedhof der Judengemeinde Meerholz lag im zwei Kilometer entfernten Niedermittlau. 1849 beantragten die Synagogenältesten, dass der dort befindliche Friedhof zur Nutzung beibehalten werden solle, was auch bewilligt wurde.17 Bei der Friedhofserweiterung 1890 wurden eine Sandsteinmauer und ein eisernes Eingangstor errichtet. Spenden in Höhe von 1.300,- Mark für die Erweiterung kamen aus Frankfurt, Baltimore, London und Karlsbad. Den Rest der Kosten von 4.000,- Mark bestritten die Juden der Meerholzer und Liebloser Gemeinde.

In der Nazizeit wurde der Friedhof geschändet, die Mauer abgetragen, Sandsteingrabsteine entfernt und zu Bauzwecken missbraucht. Das eiserne Tor wurde wohl eingeschmolzen. Heute ist der Friedhof mit einer Hecke umgeben und mit einem hölzernen Tor verschlossen. Lediglich 45 Grabsteine sind noch vorhanden.

Nachweise

Fußnoten

  1. Engel, Juden in Hailer, S. 197
  2. Geschichtsverein Meerholz-Hailer, Archiv
  3. Geschichtsverein Meerholz-Hailer, Archiv
  4. HStAM108 d Meerholz, 20: Neugasse und Apotheke zu Meerholz, 1711-1812
  5. HStAM 108 a, 1: Judenschutzbrief für Löw Itzigs Seifensieders Sohn in Meerholz, 1777-1807
  6. heute im Jüdischen Museum, Riverdale, New York
  7. Fürstlich Ysenburg- und Büdingensches Archiv: Wächtersbach KW 75/499
  8. I.D.A. Hoeck, Topographie der Grafschaft Oberisenburg, 1790
  9. HStAM 81, B 1/93/5
  10. HStAM 86, 1302
  11. Gelnhäuser Heimat-Jahrbuch 2003, S. 58
  12. HStAM 82, c 1015
  13. HStAM Protokolle II Meerholz 6, Band 4
  14. Mitteilung Walter Stern Glens Falls NY
  15. Ursula Timann: Meister Rimmonim. Der Fürther Goldschmied Johann Jakob Runnecke aus Berlin. In: Weltkunst, Heft 7 (2001), S. 1170-1173
  16. HStAM 180 Gelnhausen, 3133 und 3135
  17. HStAM 82, 1031

Weblinks

Quellen

Literatur

Abbildung vorhanden

(in Bearbeitung)

Nachnutzung

Rechtehinweise

Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, CC BY-SA 4.0
Abbildungen: siehe Angaben beim jeweiligen Digitalisat

Zitierweise

Empfohlene Zitierweise

„Meerholz“, in: Synagogen in Hessen <https://lagis.hessen.de/de/orte/synagogen-in-hessen/alle-eintraege/320_meerholz> (aufgerufen am 25.11.2025)

Kurzform der URL für Druckwerke

https://lagis.hessen.de/resolve/de/syn/320

Meerholz: Gedenktafel (2002)Der Standort der Synagoge von Meerholz im modernen Orthofoto (Bildmitte)